ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

Geschichte & Verwaltung | Historie & Gegenwart

Von Naumburgs alten Hohlen - Eine Jugenderinnerung

Von Friedrich Hoppe in: Naumburger Heimat, Nummer 12, Montag, den 19. Juni 1939

Einleitung

Es war etwa im Jahre 2018, als ich bei meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Archiv des Naumburger Doms die Beilage des Naumburger Tageblatts, einer Tageszeitung von 1939, in die Hand bekam. Sie enthielt verschiedene Aufsätze über historische Begebenheiten, allerlei Ratschläge „für die gute Hausfrau“ ebenso wie naturkundliche Abhandlungen. Das Bild am Beginn eines Beitrags und sein Text fesselten besonders die Aufmerksamkeit: Es war die Rede vom Naumburger Spechsart und den landschaftlichen Veränderungen, die er erfahren hatte. Insbesondere das Wort „Hohle“ als Bezeichnung für den Weg von der Höhe des Spechsarts hinunter zur Eisenbahnstrecke war mir noch aus der Kindheit wohlbekannt. Für Jungen und Mädchen der nördlichen, im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts angelegten Naumburger Wohngebiete wie Siedlungshof und Siedlungsstraße, Mägde- und Knabenstieg, Sperlingsgasse und weitere, war der unbefestigte Weg besonders im Winter anziehend als Rodelbahn erster Klasse. So entstand die Idee, den Beitrag über diese und die anderen Naumburger Hohlen, welche in den vergangenen Jahrhunderten durchaus Bedeutung als Verkehrswege hatten oder die im Verlauf der Jahre gar zu innerstädtische Straßen wurden, für die Website zu transkribieren.

Die Fotos im Beitrag von Friedrich Hoppe eigneten sich nicht für eine Wiedergabe. Zur Illustration wurden deshalb Karten und Fotografien verschiedener Provenienz beigefügt. In den Jahren zwischen der Niederschrift der Jugenderinnerungen und heute haben die Namen von Straßen und Wegen oftmals gewechselt. Die Transkription wurde deshalb mit nummerierten Verweisen zu Informationen über erfolgte Umbenennungen ergänzt. Beim Klick auf einen Verweis werden Daten zum Verkehrsweg in einem kleine Fenster anzeigt. Nach einer für das Lesen ausreichenden Zeit schließt sich das Zweitfenster selbständig. Danken möchte ich Frau Cordula Strehl und Herrn Rainer Trübe vom Domarchiv für deren uneigen-nützige fachliche Unterstützung.

Illustrierte Transkription

Abbildung1
Abb. 1: Kopf der Beilage zum Naumburger Tageblatt

Im Zuge der Neugestaltung des nördlichen Stadtrandes soll bekanntlich auch der in die Saaleaue hinabführende schluchtartige Hohlweg zugefüllt werden. Damit wird die einzige Hohle, die die Spechsartterrasse aufweist, verschwinden. Erfreulicherweise bleibt uns ihr als „Mägdestieg“ überlieferter Flurname in der Straßenbezeichnung erhalten, mit der ihr oberer bebauter Anfang vor Jahren belegt worden ist. Diese Hohle hat jahrhundertelang den Bewirtschaftern der Aueniederung und den Marktbesuchern der nördlich gelegenen Ortschaften als natürlicher Zugangsweg gedient. In den ihm benachbarten Rebhängen reifte noch bis Ausgang des vorigen Jahrhunderts die Traube in stattlichen Feldern und in der kleinen, im bebuchten Hange versteckten Sommerwirtschaft zum „Thüringer Felsenkeller“ waren bis zu Weltkriegsbeginn Gastlichkeit und Romantik zu Hause. Fehlgeschlagene Pläne eines Phantasten hatten jenes Idyll nach dem Kriege zur Wüstenei gemacht, bis es neuerdings eine ganz andere Gestaltung erfahren hat.

Abbildung2
Abb. 2: Verkehrswege des Umlandes nach Naumburg (S.): Von der Höhe zur Stadt, von dieser hinunter zur Saaleaue

Im Rahmen dieser Neugestaltung würde diese Hohle nur ein Verkehrshindernis bedeuten. Es ist daher berechtigt, daß sie zugefüllt wird. Die an ihrem oberen Ende stehende, als „Spechsartbirken“ bekannte malerische Birkengruppe ist bereits vor einiger Zeit beseitigt worden.

Abbildung3
Abb. 3: Heute mit Stufen versehen - Der verbliebene untere Teil der Mägdestieghohle am Spechsart.
Den im Berg zur Rechten befindlichen, um 1850 als Bierkeller angelegten Bunker,
nutzte die Bevölkerung während der Luftangriffe 1944/45 als Schutzraum.

Das Verschwinden dieser Spechsarthohle ruft die Erinnerung wach an alle jene Wasserrisse oder „Hohlen“, wie der Naumburger dafür sagt, die von den Süd- und Südwesthängen noch bis vor einigen Jahrzehnten fast unberührt zur Stadt hinunterliefen. Jahrtausende hatten sie vordem in das überwiegend lehmige oder tonige Erdreich eingeschnitten. Im Südosten kreuzte die vom Kirschberge kommende „Eselshohle“ auf ihrem Wege nach den Wethauer Mühlen die Mertendorfer, die Lauschehohle (im Volksmund „Lausehohle" benannt), sowie das Rosental und die obere Weichau bzw. die Streitweiden.

Alle diese fünf Hohlen sind von der Separation der 90er Jahre oder von der Bautätigkeit mehr oder weniger berührt worden. Am wenigsten ist dies der Fall bei dem östlichsten, als obere Weichau oder Streitweiden bekannten Grenzgraben, der die Naumburger von der Schönburger bzw. der Boblaser Flur trennt. In seinem unteren Teil enthält er eine wohlgepflegte Obstanlage, der in ihm früher vorhandene Fußweg ist zur Schonung der Grasnarbe auf den am westlichen Rand hinlaufenden Wirtschaftsweg verlegt worden. Sein oberer Teil läuft unterhalb der Geisterlinde in dem kleinen Gehölz aus, das im allgemeinen als eigentliche „Streitweiden“ gilt. Es wird seit einigen Jahren militärisch genutzt und ist nur teilweise begehbar. Woher die Hader- oder Streitweiden ihren Namen haben, ist heute nicht mehr genau festzustellen. Wie es heißt, bildeten sie früher die lange streitig gewesene Grenze gegen das kursächsische Amt Eisenberg, nach einer anderen Lesart soll ein Streitfall zwischen Naumburg und Boblaser Einwohnern ihnen diesen Namen gegeben haben.

Abbildung4  Abbildung5
Abb. 4 + 5: Blick vom Gewerbepark Schönburg hinüber zum Grenzgraben und dem oberen Rosental.

Einige hundert Meter westlich von diesem Grenzgraben läuft mit ihm parallel das Rosental zur südlichen Höhe hinan. Es hat allerding nur in seinem oberen obstbaumbestandenen Teile hohlartigen Charakter. In der Flurkarte finden wir diesen oberen Teil als „Rödichen“ bezeichnet, das ist der Name des Dorfes, das früher in dieser Gegend stand und ebenso wie das weiter östlich gelegene „Bocksroda“ seit vielen Jahrhunderten verschwunden ist. Von Rödichen bestand zur Zeit der Reformation nur noch die in Trümmern liegende Kirche, die als Scheune diente und die der Bischof und der Kurfürst dem Rate der Stadt zum Abbruch überließen, da sie bis dahin dem Georgenkloster gehörte. Der mittlere Teil des Rosentales wird heute von langegestreckten Anlagen der Obstbau-Versuchs- und Lehrwirtschaft und der Samenzüchterei Fromhold & Co. flankiert. Im unteren, flach verlaufenden Teile befindet sich seit 1869 die städtische Abdeckerei, nach unten läuft das Tal in der Siedlung „Am hohen Stein“ aus.

Abbildung6  Abbildung7
Abb. 6 + 7: Blick in das untere Rosental und die Siedlung Am hohen Stein.

Westlich des Rosentales befand sich früher die „Lauschehohle“. Sie setzte in der Weißenfelser Straße unmittelbar neben der Stadtgärtnerei an und lief im Zuge des heutigen „Mertendorfer Weges“ zu der südöstlichen Höhe hinan, wo sich noch ein Resteinschnitt von ihr befindet. Ihr ganzer unterer Teil, der östlich von dem Lausche- oder Loischhügel flnkiert wird, ist der Separation zum Opfer gefallen. Nach Schöppe „Alt-Naumburger Ortskunde“ knüpft der Name der Hohle wahrscheinlich an das schon im frühen Mittelalter verschwundene Dorf Loisch an, nach dem jetzt noch das auf der Naumburger Höhe zwischen Mertendorf und Wethau liegende Gehölz Loisch- oder Lieschholz heißt. Ein anderer heimischer Geschichtsforscher, der verstorbene Sup. a. D. Naumann nimmt in seiner „Umschau unter den Flurnamen“ an, daß der Lauschhügel an eine alte Gerichtststätte erinnert. Sein Name erscheint 1443 in der Form Lussebeul, 1466 als Lussebugel, 1492 aber als Leusbuel (Lausebühl) im Rosental. Eine vierte, früher als „Mertendorfer Weg“ bekannte Hohle nahm gleich hinterm Friedenshügel, in der heutigen „Karl-Seyferth-Straße ihren Anfang und traf etwa in der Höhe der heutigen Schreberstraße mit der vom Kirschberge kommenden Eselshohle zusammen. Sie wurde früher als Wanderweg nach Mertendorf viel benutzt. Heute ist sie in den Schrebergärten des Geländes um die „Vogelstange“ aufgegangen.

Abbildung8
Abb. 8: Die "Mertendorfer Hohle" als "Weg nach Punkewitz" auf einem Stadtplan von Naumburg (S.) des Jahres 1877.
Gezeichnet von Privatbaumeister C. Riedling.

Abbildung9  Abbildung10
Abb. 9 + 10: Unterer (l) und oberer Teil (r) der Hohle 'Mertendorfer Weg'. Die heutige gleichnamige Straße zwischen dem Wohngebiet Schreberstraße und dem Städtischen Friedhof ist nicht identisch mit der ehemaligen Hohle. Sie war jedoch Teil der ehem. Lauschehohle.

Hohlenartigen Charakter besaß früher auch die Luisenstraße [0] in ihrem oberen Teil. Sie nahm bei starken Gewittergüssen das vom Kirschberge und der Neidschützer Straße durch die sogenannte Seufzer-Allee herabströmende Wasser in ihren Gräben auf, die sich beiderseitig der in der Mitte stehenden Pflaumen-Allee befanden und mehrfach überbrückt waren. Die vom Zuge der heutigen Bürgergartenstraße ausgehende Fahrstraße nach Boblas und Neidschütz führte zu Anfang des vorigen Jahrhunderts zwischen der Bürgergartengaststätte und dem Pavillon in gewundener Richtung hindurch. Mit Rücksicht auf die Bürgergartenanlagen erhielt sie später ihren heutigen Verlauf.

Abbildung11  Abbildung12
Abb. 11 + 12: Die Straße 'Kirschberg' setzt sich als Luisenstraße bis zum Jakobsring fort.

Abbildung13
Abb. 13: Vor 150 Jahren eine Allee mit Pflaumenbäumen - heute mit Schlangen parkender Kraftwagen gesäumt:
Die Luisenstraße als Verbindung zwischen dem Wenzels-/Jakobsring und der Hochfläche im Süden von Naumburg.
Sie ist Zugang zum Bürgergarten, aber auch zu den Ortschaften Neidschütz und Boblas.

Abbildung14
Abb. 14: Von W nach O: Kaltes Tal, Teufelsgraben, Jenaer Hohle, Seiler- und Ziegelgraben, Mertendorfer Hohle

Abbildung15
Abb. 15: Nbg von SO nach NW: Am Hohen Stein – Steinkreuzweg – Friedhof - WG Schreberstraße - Bürgergarten

Der einstige „Ziegelgraben“ hat in seinem südlichen, heute als Buchholzgraben benannten Teile noch den früheren hohlenartigen Charakter behalten. Er birgt in seinem oberen Ende jenen Wasserschatz, von dem einst Naumburgs alte Wasserleitung gespeist wurde. Diese führte als zwifache Röhrenfahrt den ganzen stark abfallenden Ziegelgraben hindurch und die heutige Buchholzstraße entlang, unter Wenzelsring und Stadtgraben hindurch und stieg von da aus durch ein acht Ellen hoch ausgemauertes Loch in die Höhe des Zwingers und aus diesem in die sogenannte Wasserkunst. Das ist der noch heute am sogenannten Pförtchen des Wenzelsringes im Zuge der einstigen Stadtbefestigung stehende alte Turm. Von da aus wurde das Wasser durch zwei Röhren nach der Großen Neustraße und von da in alle Brunnen der Stadt geleitet.

Abbildung16
Abb. 16: Die in den Zwinger der Stadtbefestigung integrierte Wasserkunst. Rechts von dieser das Pförtchen, der Zugang zur Neustraße.

Heute wird das im Wasserschatz des Ziegelgrabens unmittelbar am Buchholze sich sammelnde Wasser durch ein Pumpwerk nach der Höhe des Buchholzes gedrückt, von wo es bekanntlich das obere Bürgergartenviertel versorgt. Die breite Niederung, die sich durch das ganze Buchholz bis zur Neidschützer Straße zieht, weist heute noch einen trocken liegenden gewundenen Graben auf, der in früheren Zeiten, wo die weit dichteren und umfänglichen Waldungen im Süden über größeren Quellenreichtum verfügten, als oberirdischer Wasserlauf in Erscheinung trat. Im Mittelalter soll die von ihm aus gespeiste Mausa am Moritzplatze sogar eine Mühle getrieben haben. Daß dieser mehrere Kilometer lange Wasserlauf bei niederschlagsreichen Gewittern große Wassermengen mit sich brachte, beweist eine Wasserstandstafel am Hause Freyburger Straße 4. Diese besagt, daß am 4. Juni 1875 gelegentlich eines Wolkenbruches der Wasserstand dort 1,50 Meter betrug. Jenes Unwetter entlud sich am Abend des 4. Juni über den südwestlichen Ausläufern der Stadt. Die Fluten, die die Schulzesche Gärtnerei am Schwurgerichte (zum zweiten Male innerhalb vier Wochen) und die an der Ecke des Ziegelgrabens (jetzigen Buchholzstraße) stehende Kaserne einer Batterie der 4. Reitenden Artillerie schwer heimsuchte, rissen Scheune, Stall und Mauer des „Goldenen Hahns“ nieder, verwüsteten die untere Schulstraße [1] und führten aus einem der Häuser den gebrechlichen Schriftsetzer Silber und dessen alte Pflegerin Flock mit fort, so daß man ihre Leichen erst am Georgenberge bezw. am Wasserschlößchen wiederfand. Aehnliche Verwüstungen wie in der Schulstraße richtete das Wasser in seinem Laufe durch die Kanalstraße [2], namentlich am Völknerschen Hause (Nr. 4) an; zentnerschwere Steine, Möbel, Vieh usw., ja selbst einen Mann führte es von der Schulstraße bis zum Schneiderschen Garten in der Kanalstraße mit sich. In den angrenzenden Häusern, deren 5 dem Einsturz nahe waren, stand das Wasser sechs Fuß hoch. Groß waren auch die Verheerungen durch die Fluten, die sich durch die Schwalbenhohle (Schweinsbrücke) nach der alten Saale und dem Knabenberg in das Dorf Almrich ergossen. Der Ziegelgraben selbst hat seinen Namen von den Gruben, aus denen man schon in alter Zeit Ziegelerde holte.

Abbildung17  Abbildung18
Abb. 17 + 18: Wenngleich nicht mehr im Urzustand, vermittelt der Ziegel-, heute Buchholzgraben
noch heute das Bild des einstigen Zugangs zur Stadt und seiner Funktion als Wassersammler.

Als weitere Hohle schloß sich westlich des Ziegelgrabens früher der „Seilergraben“ an. In seinem breiten unteren, von Winden geschützten Auslaufe nach der Jenaer Straße zu hatten die alten Naumburger Seiler, die in einer der ältesten hiesigen Innungen zusammengeschlossen waren, ihre Reep- oder Seilbahnen aufgestellt und drehten dort in beschaulicher Ruhe den Hanf zu Litzen und Seilen. Sie besaßen ein altes Privileg von 1579. Es wurde ihnen 1614 zugleich mit dem von 39 anderen sächsischen Städten erneuert. Sie allein waren zum Oelhandel ermächtigt und führten deshalb einen Streit mit den Kramern. Das untere Ende dieses Seilergrabens wurde, ehe es noch das Schwurgericht als Nachbarschaft bekam, 1849 auf Ersuchen des damals im Hause Jenaer Straße 1 wohnenden Majors von Zglinitzki in „Ulrikstal“ benannt. Von hier aus ließ sich während des Dreißigjährigen Krieges und zwar vom 3. bis 5. September 1642 der schwedische General Königsmark das Feuer seiner Mörserbatterien gegen die von ihm bedrängte Stadt und die davorliegenden Befestigungen spielen. Und obwohl es ihm binnen sechs Stunden gelang, eine 24 Ellen breite Bresche in die Stadtmauer gegenüber der Scharfrichterei (in der Nähe des heutigen Landgerichts) zu schießen, wurde er durch die tapfere, vom kaiserlichen General Goldacker geführte Besatzung in zweimaligem Ansturm mit blutigen Köpfen heimgeschickt. Bei einem dritten Sturmversuch versagten seine Truppen den Dienst. Er mußte mit einem Verlust von mehreren Offizieren und etwa 250 Mannschaften unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die reichliche untere Hälfte des Grabens ist heute als „Medlerstraße“ bebaut. Dagegen ist von seinem oberen Teil noch ein großes Stück in seinem hohlenartigen Urzustand erhalten geblieben, das uns einen Begriff von der Tiefe dieser Wasserrisse gibt. Dieser Einschnitt ist wohl gegen zehn Meter tief. Pflaumenbäume an beiden Uferrändern bilden einen natürlichen Gleitschutz. Heckenrosen, Weißdorn und Holunder haben sich an den beiderseitigen Hängen angesiedelt und geben dieser Hohle einen Anflug von Romantik und Unberührtheit, währende unmittelbar daneben die geschäftige Gegenwart in hunderten von sauber gepflegten Schrebergärten pulsiert. Von der Höhe aus hat man einen reizenden Überblick auf das Dächermeer unserer alten Domstadt und darüber hinaus ins Saale- und Unstruttal mit den jenseitigen Rebhängen. Schade nur, daß dieses idyllische Fleckchen Erde durch wahllose Schuttablagerungen teilweise auffallend verschandelt wir. Das ließe sich gewiß vermeiden, wenn bei der Ablagerung nur ein Teil des Ordnungssinnes aufgewendet würde, den die Schrebergärtner in ihren Schmuckkästchen pflegen.

Abbildung19
Abb. 19: Oberer Teil des Seilergrabens. Der untere, bebaute Teil reicht als Medlerstraße bis an die Kernstadt heran.

Abbildung20
Abb. 20, von l nach r: Jenaer Straße u.Jenaer Hohle, Mittelhohle "aus dem Buchholz kommend", Ziegelgraben,
Buchholzpromenade (heute -straße) und Luisenstraße auf einem Stadtplan von Naumburg (S.) des Jahres 1877.
Gezeichnet von Privatbaumeister C. Riedling.

Abbildung21  Abbildung22
Abb. 21: Mittelhohle südl. Teil mit Blick zum Buchholz. Abb 22: Seit 1910 als Lepsiusstraße und bis heute ein begehrtes Baugebiet.

Die früher westlich daneben gelegene „Mittelhohle“, auch Mittelweg genannt, ist heute in der Lepsiusstraße [3] aufgegangen. Sie kreuzte die Jenaer Straße und lief durch die heutige Saarlandstraße [4] bis zur Pfortastraße [5] heran. Wo die Sohle dieser Hohlen breit genug war, wurde sie natürlich als Verkehrswege genutzt. Eine der hauptsächlichsten Art war vor allem die einstige Jenaer Hohle, die von der Höhe des Buchholzes kommend, 1836 von der neu gebauten Jenaer Landstraße [6] als südliche Verkehrsader abgelöst worden ist. „Bis zum Jahre 1836“ – heißt es in einer alten Stadtbeschreibung – „befand sich die sogenannte Jenaische Straße im Stadtweichbilde als tiefer steiler Hohlweg mit Lehmboden in einem über alle Maßen schlechten Zustande, so daß dort öfters Pferde und anderes Vieh mit beladenen und unbeladenen Wagen stecken blieben und mehrfach Unglücksfälle dabei vorkamen.“ Die alte Hohle ist in ihren wesentlichsten Teilen heute noch erhalten geblieben. Sie beginnt hart an der Landstraße oberhalb des Friesenheims, durchläuft die frühere Döhlersche Sandgrube und begleitet die Landstraße ein gutes Stück zur Rechten, um nach erfolgter Verzweigung in der Lehmgrube [7] auszulaufen. Diese Verzweigungen sind im Laufe der Zeiten mehrfach genutzt worden. Ihr östlicher Arm ist seit 1888 vom Bürgerschützenkorps zu Schießständen ausgebaut worden. Seit etwa vier Jahrzehnten hat in ihm die Liebe zur Scholle in zahlreichen Schrebergärten eine Heimstätte gefunden, und neuerdings ist die in ihm noch freigebliebene Wegerinne im Wege der Arbeitsbeschaffung zur Rodelbahn ausgebaut worden. Ein westlicher Ausläufer dieser alten Jenaer Hohle reicht links der Straße als sogenannter toter Arm fast an die oberen Häuser der Willibald-Knoll-Straße [8] heran.

Abbildung23  Abbildung24

Abbildung25  Abbildung26
Abb. 23 + 24 (↑) und 25 + 26 (↓): Mit Fertigstellung der Jenaer Straße von der Stadt hinauf auf die Hochfläche im Jahre 1836 endete der beschwerliche Aufstieg durch die Jenaer Hohle.

Auch die „Teufelshohle“ oder „Teufelsgraben“, wie er vor kurzem noch hieß, hat einen Teil seines untersten Laufes zur Anlage von Schrebergärten hergeben müssen. Gerade diese Hohle birgt so manche Jugenderinnerungen in sich. In einem Seitenarm dieses Teufelsgrabens, fast unmittelbar unter der früheren Mahrschen Villa liegend, war der Steilhang früher mit niedrigem, etwa 1 Meter hohem Akaziengestrüpp dicht besetzt. „Akazienwäldchen“ sagten wir in unseren jugendlichen Größenverhältnisbegriffen dafür. Dorthin zogen wir uns, wenn wir wegen der Katzenmusik, die das Einüben unserer Trommler- und Pfeifermärsche für die Nerven der Einwohner bedeutete, aus der unmittelbaren Stadtnähe vertrieben waren. Dort auch ließen wir alle die Heldengestalten der in der Schule zwar verbotenen, dafür aber mit um so größerem Eifer heimlich getauschten Groschenschmöker eines Rinaldini, Schinderhannes, Winnetou, Old Shatterhand und andere zu neuen Taten erstehen. Die Kämpfe spielten sich zumeist um den Besitz einer „Höhle“ ab, eines Geviertmeter großen und etwa 1½ Meter hohen Erdloches in jenem bewußten Akazienwäldchen, das wir uns im Laufe der Zeit mittels Spaten und einer der Mutter heimlich entführten Kohlenschippe allmählich in den lehmigen Steilhang gebuddelt hatten. Natürlich wurde in der Höhle auch gekokelt. Daß es bei diesen Sturm- und Abwehrkämpfen mitunter reichlich hitzig zuging, daß schließlich aus Spaß Ernst wurde und mancher von uns eine eklige Senge mit nach Hause nahm, läßt sich wohl denken.

Abbildung27  Abbildung28
Abb. 27: Der Teufelsgraben auf einer Karte von 1905.
Abb. 28: Im Jahr 2024 - Der Graben ist mit Datschen übersät bzw. von wildem Gestrüpp überwuchert.

Ueberhaupt bildeten diese tiefen Gelände-Einschnitte mit ihren beiderseitigen Steilhängen das idealste strategische Gelände für die Kampfhandlungen „feindlicher“ Heerlager. Wie oft hallte z. B. die im Zuge der heutigen Adolf-Hitler-Straße [9] laufende alte „Flemminger-“ oder „Pflaumenhohle" wider vom Kampflärm streitlustiger Schuljugend. Sie begann unterhalb des Michaelisplatzes und lief an der heutigen Dietrich-Eckard-Straße [10] aus. Wie oft wurden auch im Birkenwäldchen, in dem die einstige „Kirschhohle“ (heutige Blücher-, Straßburger- und Eupener Straße) ihren Anfang nahm, Streitigkeiten zwischen den oberen Klassen einzelner hiesiger Schulen ausgetragen. Jene Schulen, die über 17 und 18jährige Jungen verfügten, waren uns „gehobenen“ oder Volksschülern körperlich natürlich weitaus überlegen, und mehr als einmal mußren wir der Uebermacht weichen.

Einmal hatte eine dieser „Schülerschlachten“ noch ein Nachspiel in der Schule. Sie war dem Rektor (Reißmann) gemeldet worden, und eines Tages erschien dieser mit dem Kastellan (Weißleder) mit der gefürchteten ledernen Knute unterm Rocke. Wir Schüler der ersten Volksschulklasse übten gerade unter Kantor Dornbusch den bekannten dreigliedrigen Wechselgesang „O, wie wohl ist’s mir am Abend“ ein und hatten uns mit der Zeit so in die „Ruhe am Abend“ und des „Bim-baum“ hineingesungen, daß wir gar nicht merkten, wie die beiden Schulgewaltigen eingetreten waren. Wir wurden ihrer erst gewahr, als des Rektors Stimme und aus allen Himmeln in die Wirklichkeit zurückrief und nun in einem hochnotpeinlichen Verhör alle die Sünder hervorzitierte, die sich mehr oder weniger aktiv an jener „Schlacht“ beteiligt hatten. Nur wenige gingen „leer“ aus. Selbst die ganz Vorsichtigen, die nur von weitem in die Lage gespäht oder Posten gestanden hatten, wurden nicht übergangen. Alle bekamen ihre drei „Zünftigen“ mit der Lederpeitsche auf den Hosenboden überzogen. In diese gewiß nicht leichte Aufgabe, etwa 60 große Jungen drei „schmalzige" Hiebe überzuziehen, teilten sic redlich alle drei: Rektor, Kantor und Kastellan abwechseln. Und wenn noch heute, wenn beim Berühren des Birkenwäldchens die Erinnerung an das Einst wieder in mir wach wird, tut mir unser armer, guter Vater Dornbusch leid, wie er sich bei seinem hohen Alter mit uns abquälen mußte, daß ihm der Schweiß von der bebuschten Stirne lief. Immer aber, wenn von einer Duplizität der Ereignisse die Rede ist, muß ich an jene tragikomische Gesangsstunde denken, in der uns die Flötentöne in drei verschiedenen Gruppen aber auf zwei verschiedenen Arten (stimmlich und körperlich) beigebracht wurden. Die „Pflaumenhohle“ wurde 1898 zugefüllt und als Flemminger Weg ausgebaut, die „Kirschhohle“, die einen hohlwegartigen Charakter nur in ihrem oberen Teile aufwies, ist samt dem dazwischen liegenden Gelände, dem einstigen „Hundegalgen“ von der Bautätigkeit der letzten zehn Jahre fast gänzlich aufgesogen worden.

Abbildung29  Abbildung30
Abb. 29: Hohle 'Kaltes Tal' auf einer Karte von 1905. - Abb. 30: Im Jahr 2024 - Bebauung des Terrains bergauf bis zum Sperlingsholz.

Weiter nach Westen zu finden wir dann noch als alten Wasserriß das aus dem Sperlingsholze kommende „Kalte Tal“, jenen alten Grenzgraben gegen Almrich, dessen Wasserlauf einst die an seinem Fuße stehende und 1278 erstmalig erwähnte Kegelsmühle betrieb. Auf der Höhe über dem sogenannten Eselswege stand einst auch die Schweinswarte, die westliche Grenzwarte des Naumburger Weichbildes, deren Namen in der Schweinsbrücke heute noch fortlebt.

Abbildung31  Abbildung32
Abb. 31 Der Eselsweg von der Holländer Mühle hinunter zur Schwalbenhohle. - Abb. 32 Die Schweinsbrücke über diese Hohle.

Anmerkungen über Friedrich Hoppe

Friedrich Hoppe, wurde am 15. Juli 1879 in Naumburg (Saale) geboren. Er war Lehrer, Chronist und Leiter/Stadtdirektor des städtischen Museums. Verstorben ist Friedrich Hoppe am 8. Dezember 1959 in seiner Heimatstadt.

Abbildungsnachweis

Vereinigte Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatsstifts zu Zeitz, Kartenarchiv: 1, 6
Archiv für Autobahn- und Strassengeschichte, Bilderfundus: 2
SLUB / Deutsche Fotothek, , Meßtischblatt 2809 : Naumburg, 1905: 8 (bearbeitet)
Helmut Schneider, Naumburg (Saale): 3 - 7 und 9 - 32

Literatur

Schöppe, Karl: Alt-Naumburg, Eine Heimatkunde; 1931. Nachdruck M. Seidel, Naumburger Verlagsanstalt, Okt. 2014
Kupler, Wolfgang: Die Namen der Naumburger Straßen (Teil1), in Saale-Unstrut-Jahrbuch 7. Jg. 2002, S. 74-84
Kupler, Wolfgang: Die Namen der Naumburger Straßen (Teil2), in Saale-Unstrut-Jahrbuch 8. Jg. 2003, S. 77-89
Zusammenstellung: H. Schneider, Redaktion Naumburg (Saale) des AfASG, 3/2024


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