ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

Geschichte & Verwaltung | Historie & Gegenwart

1937: Über eine Ortsumgehung der R87 für Bad Kösen

Die Situation

Karte1
Abb.1: Bad Kösen im Saaletal

"Bad Kösen ist ein Ortsteil der Stadt Naumburg im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt. Er ist ein Sol- und staatlich anerkanntes Heilbad." Mit diesen Sätzen beginnt bei Wikipedia die Beschreibung der kleinen Stadt im Saaletal. Unter dem Punkt "Verkehr" wird neben der Eisenbahnstrecke Halle - Bebra auch die Bundesfernstraße B 87 genannt. Von der westlichen Hochfläche kommend und durch die Altstadt führend, quert der Straßenverkehr über eine steinerne Bogenbrücke die Saale.

Karte2: Karte von 1910
Abb.2: Stadtplan von Bad Kösen.
Quelle: Wikipedia

Bild1: Saalebrücken
Abb.3: Die Saalebrücken: Vorn die Eisenbahnbrücke, dahinter die Straßenbrücke.
Quelle: Bild Nr. 6156 Brück & Sohn, Meissen 1905

Bild2: Saalebrücke
Abb.4: Die Saalebrücke in Bad Kösen. Charakteristisch ist das am Scheitelpunkt der Brücke befindliche Brückenhäuschen.

Als nach der politischen Wende in der DDR und dem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland das Projekt einer Ortsumgehung (OU) für Bad Kösen und Naumburg entwickelt und in den Bundesverkehrswegeplan 2003 aufgenommen wurde, begannen teils leidenschaftlich geführte Diskussionen in der Bevölkerung, die bis zum heutigen Zeitpunkt andauern. "Knackpunkt" war von Anbeginn die Überführung über die Saale. Die Beführworter der OU sehen in erster Linie den Gewinn an Lebensqualität für die Bad Kösener Einwohner und ihre Kurgäste, die Gegner dagegen eine Gefährdung der Schönheit des Saaletals, Einschränkungen bestehender Sichtachsen zur Rudelsburg und der Burg Saaleck und vor allem, als Folge des Baues einer auf ca. 60 Meter hohen Pfeilern stehenden "Monsterbrücke", zunehmenden Verkehr mit Lärmpegel, Stäuben und Abgasen.

Diskurs
Abb.5: Leserzuschriften und Beiträge in der örtlichen und überregionalen Presse zu den Planungen der OU Bad Kösen und Naumburg
waren Teile der in den Stadtgremien, auf Einwohnerversammlungen und an Stammtischen geführten Diskussionen.

Nur wenigen Beführwortern und Gegnern der geplanten Baumaßnahme ist bekannt, dass bereits 1904 die Situation an der Kreuzung der Reichsstraße 87 und der Eisenbahn als Problem erkannt wurde. In den 1930er Jahren erfolgte die Prüfung von Varianten für den Bau einer Umgehungsstraße für Bad Kösen und auch die Verkehrsplanung der DDR sah offensichtlich eine Ortsumgehung in der Region Bad Kösen/Naumburg vor. Darüber geben die Kopien zweier Archivalien im Archiv für Autobahn- und Straßengeschichte (Signaturen D017087 und R017037) Auskunft:

  1. Ein im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde mit der Signatur R/4601/1917 vorhandener Reisebericht, betreffend die Kreuzung der R87 mit Eisenbahn und Saale zur Verkehrsentlastung der Stadt Bad Kösen vom 7. September 1937.
     
  2. Informationskatalog (Kopie), erschienen als Präsentationsbroschüre des VEB Entwurfs- und Ingenieurbüro des Straßenwesens, 1976, Sign. AfASG: D017087

Der Inhalt des Reiseberichts

Zur Prüfung der möglichen Überbrückung des Saaletals bei Bad Kösen unternahm am 7. September 1937 der Regierungsbaurat und Referent für Gestaltungsaufgaben beim Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen (G.I.) Hans Lorenz gemeinsam mit den Herren Bernhardt, Oberbaurat beim G.I. und Martinsen, Oberbaurat in der Provinzialverwaltung in Merseburg und Vorstand des Bauamtes Weißenfels, eine Ortsbesichtigung. Über die Ergebnisse berichtete Lorenz am 13. September 1937 in einem Reisebericht dem G.I. Der dreiseitige Bericht enthält Aussagen über die geprüften Möglichkeiten betreffs der Querung des Saaletals und Umgehung von Bad Kösen. Leider sind die dem Bericht als Anlage beigegebenen Lichtbilder im Archiv des Bundesarchivs Berlin-Lichterfelde nicht mehr vorhanden. Den folgenden Angaben aus dem Bericht sind deshalb Fotos zur Illustration beigefügt.

Reisebericht
Abb.6: Ausschnitt aus dem Reisebricht vom 7. 9. 1937

Sowohl die Geomorphologie des Saaletals als auch die das Tal durchziehenden Verkehrsadern stellen Verkehrsingenieure noch heute vor komplexe Probleme. Die damalige Reichsstraße 87 hatte -wie auch heute noch- nicht nur die Saale zu überqueren sondern auch die Eisenbahnlinie Halle - Bebra im Bad Kösener Stadtgebiet oder alternativ im Bereich der freien Strecke zu kreuzen.

Der im Jahre 1937 vorhandene Übergang der Reichsstraße 87 von der Saalebrücke hinüber in die Kösener Lindenstraße und bergauf in Richtung Eckardsberga wurde seit dem Bau der Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer Schrankenanlage gesichert. Ein schmaler Tunnel unter dem Eisenbahndamm diente Fußgängern sowie kleinen und mittelgroßen Fahrzeugen für den Wechsel von der einen zur anderen Seite der Eisenbahnstrecke, also von der Lindenstraße zur Saalebrücke und Bahnhofstraße.

Ehemalige Bahnschranke
Abb.7: Die Überfahrt der Lindenstraße zur Saalebrücke war durch eine Bahnschranke abgesichert.
Aufgrund des intensiven Zugverkehrs war die Schranke etwa 40 Minuten je Stunde geschlossen.

Ehemaliger Tunnel
Abb.8: Gebaut Mitte des 19. Jh. im Zuge der im Jahre 1846 eröffneten Eisenbahnstrecke:
Der Tunnel von der Lindenstraße zur Bahnhofstraße/Saalebrücke.

Als eine Lösung für die Verbesserung des Verkehrsweges bot sich an, die Bahntrasse samt ihrer Überführung über die Saale anzuheben und damit Raum für eine Unterquerung durch die Reichsstraße zu schaffen. Das etwa jährlich auftretende Hochwasser der Saale, welches die Unterführung beeinträchtigen, gar zeitlich unpassierbar machen kann, und die zunehmende Steigung der Straße gegen Eckardsberga wurden jedoch als diese Variante ausschließend beurteilt.

Auch die Errichtung einer Stockwerkbrücke, bei der Straße und Eisenbahntrasse übereinander über ein Brückenbauwerk geführt werden, wurde im Bericht endgültig abgelehnt.

Großen Wert legte die Beurteilung darauf, dass die Aussichten von der zu bauenden Saaletalbrücke auf die Stadt und die Burgen nicht oder nur wenig beeinträchtigt werden. Die in diesem Zusammenhang erwähnten drei Wahllinien, bspw. als Hangstraße und ihr möglicher Verlauf, können jedoch wegen der fehlenden Zeichnungen nicht nachvollzogen werden..

Als eine weitere Variante wird im Reisebericht genannt, das Tal oberhalb der Stadt, etwa beim Sägewerk zu überschreiten. Um von der Rudelsburg aus einen Anblick zur Stadt zu haben, solle ein solches Bauwerk als Natursteinbrücke von etwa 30 Meter Höhe ausgeführt werden. Damit bestünde auch die Möglichkeit des Anschlusses der Stadtviertel um das Gradierwerk. Da die Umgehungsstraße etwa bei Schulpforta wieder an die bestehende R 87 anzuschliesen ist, "zeigt sich allerdings, daß alle Teilarbeiten bei Bad Kösen nur dann sinnvoll sind, wenn die Verkehrsfragen für Schulpforta und Altenburg bis hinein nach Naumburg zuerst im Sinne einer Gesamtlösung geklärt sind".

Brückenverlauf
Abb.9: Geeignet für die Bogenbrücke zur östlichen Hochfläche? Von Links nach Rechts: Baulichkeiten des Holzwerkes,
Kösener Spielzeug Manufaktur GmbH, die Gastwirtschaft "Zur Katze". Verdeckt der Hangvorsprung für das westliche Widerlager.

westl. Hang
Abb.10: Leider nur eingeschränkt fotografisch zu erfassen: Der Hangvorsprung, geeignet für ein westliches Widerlager.

Brücke in ANA
Abb.11: Steinbogenbrücke im Stadtgebiet von Annaberg-Buchholz - Beispiel einer notwendigen und gelungenen Verkehrslösung.

In den Jahren zwischen 1993 und 2006 wurde wegen des zunehmenden Verkehrsaufkommens die Kreuzungsstelle umgebaut. Die Durchfahrt des bestehenden, nur für PKW und Kleintransporter zugelassene Tunnels wurde aufgeweitet und tiefergelegt, der beschrankte Bahnübergang wurde beseitigt. Diese, im Zuge von teilweiser Neugestaltung der Lindenstraße und der Straße bergauf nach Eckardsberga realisierte Variente, entspricht im Wesentlichen der bereits im Reisebericht erwähnten "untragbare Lösung" von 1937.

Zustand-2024a
Abb.12: Unterer Teil der Lindenstraße, Tunnel zur Saalebrücke und Bahnhofstraße.
Der ehemalige Bereich der zu den Gleise führenden Eckardsbergaer Straße ist renaturiert.

Zustand-2024b
Abb.13: Abzweig der Lindenstraße von der Bahnhofstraße vor dem Tunnel.
Die Bahnhofstraße führt am nördlichen Ende hinauf zur Saalebrücke.

Auch in der DDR gab es Pläne, kritische Punkte des Straßenverkehrs durch den Bau von Ortsumfahrungen zu entschärfen. Darüber gibt ein Informationskatalog des VEB Entwurfs- und Ingenieurbüro des Straßenwesens Auskunft. Zwar ist darin von einer OU Bad Kösen nichts erwähnt, doch zeigen Formulierungen im oben zitierten Reisebericht sowie Dokumente der gegenwärtig im Bau befindlichen B87n, dass eine OU um Naumburg (Saale) nur Sinnvoll ist bei gleichzeitiger Realisierung einer solchen um Bad Kösen bzw. eine OU Bad Kösen unbedingt ihre Fortsetzung mit einer Umfahrung von Naumburg finden muss.

Bild4
Abb.14: Planung der Fernverkehrsstraßen in der DDR.
Ausschnitt aus: Informationskatalog - Präsentationsbroschüre des VEB Entwurfs- und Ingenieurbüro des Straßenwesens, 1976

Anmerkungen

  • Bild 1: Das Reise- und Erholungsgebiet Naumburg-Saale / Bad Kösen / Freyburg-Unstrut im mitteldeutschen Burgenland *F. Bruckmann KG, *Verlagsanstalt Max Wittkop GmbH, München 1938/39"
  • Bild 2: Quelle Wikipedia, Zugriff 5/2024
  • Bild 3: Foto Bild Nr. 6156 Brück & Sohn, Meissen 1905
  • Bild 4: Foto H. Schneider, 5/2024
  • Bild 5: Grafik H. Schneider, 5/2024
  • Bild 6: Bundesarchiv, Berlin R/4601/1917 (Ausschnitt)
  • Bild 7: Schumann, Wolfgang, Videoclub Bad Kösen (Ausschnitt)
  • Bild 8: Schumann, Wolfgang, Videoclub Bad Kösen (Ausschnitt)
  • Bild 9 - 13: Fotos H. Schneider, 5/2024
  • Bild 14: VEB Entwurfs- und Ing.büro d. Straßenwesens, (1976) (Ausschnitt)
Text: H. Schneider, 5/2024
Herrn K.-H. Ritter gebührt Dank für seine Unterstützung

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