Archiv für Autobahn- und Straßengeschichte

Geschichte & Verwaltung | Historie & Gegenwart

Reichsautobahn Berlin-Königsberg im „polnischen Korridor“

Das Problem, eine Autostraße von Berlin nach Königsberg (polnisch Królewiec, russisch Kaliningrad) durch den "polnischen Korridor" (aus polnischer Sicht durch das polnische Danzig-Pommern) zu führen, tauchte erstmals in den 1920er Jahren auf, als erste Konzepte für den Bau eines Fernstraßennetzes durch ganz Europa entstanden. Schon damals war sie Objekt gegenseitiger Verständigungsversuche zwischen der polnischen und der deutschen Seite; der Prozess wurde jedoch durch die Weltwirtschaftskrise, die am 24. Oktober 1929 begann, unterbrochen.

Die Frage nach dieser Verbindung zwischen Polen und Deutschland kam 1933 erneut auf, als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Regierung kamen. Sie gaben den ehemaligen "Autobahn"-Planungen“ in der Weimarer Republik einen gesellschaftspolitischen Charakter und begannen im gesamten Deutschen Reich mit der praktischen Umsetzung als eigenes, weitreichendes und öffentlichkeitswirksames Reichsautobahn-Projekt. Während der bilateralen Versuche, das Problem der Streckenführung durch den „polnischen Korridor“ diplomatisch zu lösen, tauchten verschiedene Konzepte zu Verlauf und Umsetzung auf - vom Tunnel bis zur Überführung oder auf engstem Raum im polnischen Danzig-Pommern. Die Lösung dieser Angelegenheit wurde für die deutsche Seite besonders dringlich, als am 19. Juli 1937 südlich des Dorfes Rzęśnica (Hornskrug) 28,7 km die Reichsautobahn offiziell in Betrieb gingen. Die Planung der Abschnitte in Richtung Königsberg war auch deshalb eilig, weil schon im Oktober 1937 die weiter östlich gelegene 78,3 km lange Teilstrecke Freienwalde in Pommern (Chociwel) – Bärwalde (Barwice) zum Bau freigegeben wurde.

Wahrscheinlich aufgrund der langwierigen Verhandlungen mit der widerstrebenden polnischen Regierung und der Aussichtslosigkeit, die Autobahn durch den „polnischen Korridor“ führen zu können, begann die deutsche Seite mit der Vorbereitung einer Alternative in Form des Abschnitts von Bärwalde (Barwice) über Neustettin (Szczecinek) zum Grenzübergang bei Konitz (Chojnice ) an der damaligen Reichstraße 1. Nach dem 1. September 1939 verlor diese Version ihre Bedeutung, denn jetzt gab es keine Hindernisse mehr, Planung und Bau der Reichsautobahn-Strecke Freienwalde – Bärwalde – Bütow (Strecke 55) und Bütow – Danzig direkt durch den „polnischen Korridor“ (Strecke 93) fortzusetzen.

Im Bereich dieses „Korridors“ sollte die Autobahn 41 km lang sein und vier planfreie Anschlussstellen bekommen. Das Konzept ist in der folgenden Abbildung schematisch dargestellt:

Bild1

In den Jahren 1940-42 wurden Häftlinge und Zwangsarbeiter für die Arbeiten eingesetzt; sie waren in mindestens fünf jeweils 8-10 km voneinander entfernten Arbeitslagern entlang der Baustrecke untergebracht. Nach Rodung der Waldstreifen und Abtragen der Humusschicht begannen die vorläufigen Erdarbeiten auf einem ca. 17 km langen Abschnitt (siehe gestrichelte Linie). Beim Rest der Teilstrecke (24 km) gab es lediglich Waldeinschlag, dessen Spuren kaum noch sichtbar sind. An den vorgesehenen Anschlussstellen wurden keine Erdarbeiten durchgeführt. Ein kleinerer Teil der damals auf den 17 km ausgeführten Erdarbeiten wird derzeit beseitigt, weitere Überreste von Wald bedeckt sind.

Diese Relikte des Reichsautobahnbaus im früheren „polnischen Korridor“ stellen eine nur der lokalen Bevölkerung und einigen verkehrshistorisch interessierten Heimatforschern bekannte Sehenswürdigkeit dar.

Text und Zeichnung: Piotr Zembrzuski (August 2022)
Übersetzung aus dem Polnischen und (fach)sprachliche Redaktion: Reiner Ruppmann (August 2022)