ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE

Schrifttum | Projekt 1/2015

Der Deutsche Straßenbauverband 1921 – 1935: Einführung zu den Denkschriften

Vorbemerkung

Ohne die Kenntnis der Situation im deutschen Straßenwesen Anfang der 1920er Jahre ist nicht verständlich, weshalb sich die Wegebauverantwortlichen in den deutschen Ländern seinerzeit entschlossen hatten, einen subsidiären Zweckverband zu gründen. Die damals entwickelten Grundstrukturen für Hauptdurchgangsstraßen (Fernstraßen) bildeten die Anfänge der heutigen Bundesstraßen. Die Auftragsverwaltung der Länder weist ebenfalls in diese Zeit zurück.

Gründung des Verbandes

Die offensichtliche Unfähigkeit der Reichsregierung bzw. der Regierung Preußens, nach 1920 die Bedeutung der Straßen als eine erstrangige Staatsaufgabe zu begreifen, d. h. die öffentliche Verkehrs- und Kommunikationsfürsorge für das Eisenbahn- und Postwesen zusätzlich auch auf das Straßenwesen auszudehnen, rief geradezu nach Selbsthilfe. Die auf Eigenständigkeit bedachten Selbstverwaltungsorgane für das Straßenwesen der preußischen Provinzen und der übrigen deutschen Ländern sahen sich somit gezwungen, die technischen, betrieblichen und finanziellen Probleme des deutschen Straßenwesens im Selbstauftrag auf der Ebene der Entscheidungs- und Verantwortungsträger zu lösen. Der Zusammenschluss der Straßenbau-Selbstverwaltungen im Deutschen Reich zur Zweckgemeinschaft „Deutscher Straßenbauverband“ bildete gewissermaßen die Initialzündung für die Modernisierung des deutschen Straßenwesens.

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Bild 1: Ausgabelung und Neueinbau des Schotters auf einer Chaussee

Auf Vorstoß der westlichen preußischen Provinzen, die sich seit Beginn der Weimarer Republik in einer regelmäßig tagenden Konferenz der Landesbauräte zusammengefunden hatten, wurde im Oktober 1921 in Dresden der Deutsche Straßenbauverband (DStrBV) aus der Taufe gehoben; der volle Name lautete „Verband der Straßenbauverwaltungen der deutschen Länder (preußischen Provinzen), vertreten durch die leitenden Baubeamten“. Er stellte einen auf Freiwilligkeit beruhenden Zusammenschluss der Wegebauverantwortlichen aller preußischen Provinzen (Landesbauräte) und der leitenden Straßenbaubeamten der außerpreußischen Länder (Ministerial- bzw. Oberbauräte) in einer Arbeitsgemeinschaft dar.

Aus Sicht dieses Zweckverbandes war es zur Lösung der drängenden Probleme des deutschen Straßenwesens geboten, rasch Fortschritte in Bau, Unterhalt und Betrieb der Straßen zu erzielen. Dazu sollten einheitliche Kriterien für technische Fragen entwickelt sowie allgemeingültige Regeln für den Straßenbau festgelegt, ferner der organisatorische Erfahrungsaustausch unter den Straßenverwaltungen gefördert werden. Darüber hinaus war angestrebt, das Wegerecht der Länder bzw. der preußischen Provinzen einander anzunähern, um auch hier gegenüber dem Gesetzgeber bei der angedachten reichsweiten Regelung des Straßenwesens möglichst ‚mit einer Stimme’ zu sprechen.

Ein besonderes Anliegen der Wegebauverwaltungen war es, gemeinsame Stellungnahmen gegenüber den Vorhaben von Gesetzgebern und Kraftfahrzeugwirtschaft vorzubereiten und nach außen zu vertreten. Dazu muss man wissen, dass sich der beim Reichsverkehrsministerium installierte Reichsausschuss für Kraftfahrwesen aus Vertretern der Fahrzeugindustrie, der Kraftfahrzeughalter und der Gewerkschaft der Chauffeure zusammensetzte. Ein Straßenbausachverständiger wurde erst auf Drängen der preußischen Provinzialverwaltungen aufgenommen. Das Übergewicht der Stimmenzahl lag jedoch bei den Fahrzeugherstellern, die verhindern wollten, dass Fahrzeugbau und Automobilverkehr nicht durch Gesetze und Vorschriften zu stark reguliert und eingeschränkt werden.

Organ des DStrBV war die Beilage “Straßenbau und Straßenunterhaltung“ in der Zeitschrift „Verkehrstechnik – Zeitschrift für Transportwesen und Strassenbau. Zentralblatt für das gesamte Land-, Wasser- und Luftverkehrswesen“.

Vorstand

Dem Vorstand des DStrBV, der gleichzeitig als Arbeitsausschuss fungierte, gehörten die Leiter der Straßenbauverwaltungen von Bayern, Baden, Sachsen und Württemberg ständig an; die preußischen Provinzen entsandten die Landesbauräte von Rheinland, Sachsen und Ostpreußen. Die Geschäftsführung besorgte Landesbaurat Carl Wienecke, Präsident der Landesverkehrsdirektion in der preußischen Provinz Brandenburg.

Das Gremium wollte auf keinen Fall die Errichtung einer bürokratischen Zentralbehörde, da alle Beteiligten fest davon überzeugt waren, die vorhandenen Selbstverwaltungs-Körperschaften seien nach Größe, Zuschnitt und Ausbildung ihrer Beamten allen Anforderungen, die der rasch wachsende Kraftverkehr an den Straßenbau stellte, in jeder Hinsicht gewachsen. Bau und Unterhalt der Straßen seien wegen der Nähe zu den jeweils anstehenden Fragen grundsätzlich Ländersache, und auf dieser Stufe könne man rascher, billiger und effizienter zu Standardisierungen gelangen als auf Reichsebene über das Verkehrsministerium. Zur Einbindung weiterer Fachgremien entschied sich der DStrBV, je einen Vertreter des Verbandes der technischen Oberbeamten der Städte und des Deutschen Landkreisverbandes in den Vorstand aufzunehmen.

Versuchsstrecke in Braunschweig

Im Vordergrund der Arbeit des Verbandes standen die Einwirkungen des Kraftfahrzeugverkehrs auf die Straßen. Zu praxisnahen Studienzwecken errichtete er im Frühjahr 1925 aus Eigenmitteln sowie mit finanzieller Unterstützung des Reichsverkehrsministeriums im Norden Braunschweigs eine rund einen Kilometer lange kreisförmige Automobilversuchsstraße mit vier Spuren zu je 2,75 m Breite und sechs 180 m langen Abschnitten mit verschiedenen Belägen. Damit sollten Erfahrungen über den Einfluss von Fahrzeuggewicht, Bereifung und Fahrgeschwindigkeit der einzelnen Lkw-Typen auf die damals in ihren Eigenschaften noch wenig erforschten Befestigungsarten der Fahrbahndecken (Teer, Asphalt, Beton) gesammelt werden.

Die vier Fahrbahnen bestanden aus jeweils 180 m Kleinpflaster, wassergebundener Schotterung, Teer-Oberflächenbehandlung, Asphaltschotter (Innenteerung), Asphalt (je 90 m im Kalt- und Heißeinbauverfahren) sowie Beton. Finanziert wurde der Bau durch eine Umlage, an der sich alle Straßenbauverwaltungen in Deutschland beteiligten, und die insgesamt den Betrag von rund 288.000 Mark erbrachte. Das Reichsverkehrsministerium bewilligte einen Zuschuss von 60.000 Mark.

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Bild 2: Einbau einer mittelschweren Asphaltdecke (Schotter mit Innentränkung) auf einer Ausfallstraße

Mit der Versuchsanlage wollte der DStrBV insbesondere den bislang nicht widerlegbaren Behauptungen von Kraftfahrzeugindustrie, Automobil-Verbänden und Kraftfahrer-Vereinigungen entgegentreten, es gäbe keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen der Fahrgeschwindigkeit von Automobilen und dem Straßenverschleiß. Die Zerstörung der Fahrbahnen rühre vielmehr von den Pferdefuhrwerken her, die mit ihren Hufbeschlägen und den schmalen Eisenreifen der Wagenräder die Straßenoberflächen aufreißen würden.

Die in diesem Zusammenhang herausgegeben Denkschriften über die Fahrperioden auf der Versuchsstrecke zwischen 1925 und 1931 dokumentierten alle Versuchsanordnungen, Messmethoden und -ergebnisse sowie die Kosten für Bau, Umbau bzw. Unterhalt der verschiedenen Fahrbahnbefestigungen. Diese Publikationen werden hier in den Untergruppen vorgestellt.

Verkehrszählungen

Da eine Übersicht über die tatsächliche Nutzung der Kraftfahrzeuge im Deutschen Reich und die Orte ihres Einsatzes fehlte, führte der DStrBV in den Jahren 1924/25 und 1928/29 deutschlandweit zwei vorbildliche Verkehrszählungen nach einheitlichen Grundsätzen durch. Den Auftrag für die Vorbereitung, die Auswertung und Visualisierung dieser ersten beiden flächendeckenden Verkehrszählungen hatte man dem auf diesem Sektor sehr erfahrenen Leiter der sächsischen Straßenbauverwaltung, Ministerialrat Dr.-Ing. Artur Speck, übertragen. Das Land Sachsen hatte nämlich bereits seit 1904 systematische Zählungen des Kraftverkehrs durchgeführt, die als Grundlagen für diese reichsweiten Erhebung dienten. Erfasst wurden der Anteil der Fahrzeuggattungen am Gesamtverkehr und die dadurch verursachte tägliche Straßenbelastung, ausgedrückt in tonnenkilometrischer Leistung.

Bei diesen methodischen Wissensverbesserungen blieb allerdings ein wichtiges Problem unberücksichtigt, nämlich die kraftfahrzeuggerechte Umgestaltung der Hauptstraßen in den Städten und Gemeinden, die neben dem lokalen auch dem Durchgangsverkehr dienten. Die Wegeunterhaltspflicht für diese Straßen war nicht Sache der Länder und Provinzen, sondern gehörte in den Verantwortungsbereich der Kommunen. Solche Straßen bildeten weniger vom technischen Aufbau und dem Zustand ihrer Oberfläche her eine kritische Angelegenheit, weil die Städte wegen der Staubplage und der Verkehrsdichte innerhalb ihrer Stadtgrenzen schon frühzeitig für einen möglichst haltbaren Deckenbau gesorgt hatten. Aber Dimension und Führung der Durchgangsstraßen entsprachen in den meisten Fällen nicht mehr den Anforderungen.

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Bild 3: Oberflächenteerung einer Schotterstraße mit anschließender Splitt-Abdeckung

Kartenentwurf für Hauptverkehrsstraßen

Auf Vorschlag des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, dessen Erster Beigeordneter Dr.-Ing. Philipp Rappaport eine treibende Kraft innerhalb des DStrBV war (siehe Archivalien B896108 und S01705 auf dieser Website), gab das Reichsverkehrsministerium im Jahre 1930 erstmals eine „Karte der Fernverkehrsstraßen Deutschlands“ (Reichsfernstraßennetz) mit einer Gesamtlänge von rund 10.630 km in der ersten, und weiteren rund 4.725 km in der zweiten Ausbaustufe, sowie „Einheitliche Richtlinien für den Ausbau der Fernverkehrsstraßen“ heraus. Damit lag für alle Wegebaupflichtigen erstmals ein verbindlicher Kanon mit technischen Mindestanforderungen zur Ausgestaltung der wichtigen Hauptverkehrsstraßen vor. Wegweisend für die spätere Entwicklung des deutschen Straßennetzes war die durchlaufende Nummerierung der ausgewählten Straße von 1 bis 138; diese Ziffern bildeten die Grundlage für die Nummerierung der Reichsstraßen und finden sich noch heute bei den Bundesstraßen wieder.

Die Verantwortlichen in den preußischen Provinzen bzw. den übrigen deutschen Ländern waren allerdings nicht zwingend an die Richtlinien gebunden. Sie konnten weiterhin nach eigenem Gutdünken darüber befinden, wann und in welchem Umfang sie die in ihren Bereich verlaufenden, als nationale Fernverkehrsstraßen vorgesehenen Straßenteile entsprechend den Vorgaben ausbauen wollten. Der Maßstab dafür war die aus den Verkehrszählungen bekannte Höhe der Straßenbelastung sowie die Ausdehnung des Verkehrs im Umfeld der Städte, ferner die subjektive Beurteilung künftiger Verkehrsbedürfnisse und die Finanzlage der öffentlichen Körperschaften. Es fehlte demnach die steuernde Hand einer zentralen staatlichen Instanz, die den strategischen Ausbau länderübergreifender Durchgangsstraßen im Sinne eines reichsweiten Straßenverkehrskonzepts hätte durchsetzen und das einmal ausgebaute Straßennetz jeweils veränderten Bedingungen anpassen können.

Auflösung des DStrBV 1935

So pragmatisch wie der Zweckverband im Jahr 1921 gegründet worden war, so unprätentiös wurde er auf Betreiben des letzten amtierenden Präsidenten Artur Speck im Jahr 1935 aufgelöst: freiwillig, im besten kameradschaftlichen Einvernehmen der nur an ihre regionale Behörde gebundenen Vorstandsmitglieder. Mit der Installierung eines Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen im Juni 1933, der dann im Dezember 1933 zum Reichsminister aufstieg, war aus Sicht des Vorstandes die koordinierende und vermittelnde Funktion des DStrBV überflüssig geworden.

(Bildquellen: Strassenbau-Aktien-Gesellschaft: Neuzeitlicher Straßenbau, Köln, 1926, S. 13, 23 und 33)


Denkschriften des DStrBV    

Wissenschaftliche Redaktion, Reiner Ruppmann, im Juni 2015

 
 
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